Ratgeber

Digitale Arbeitszeiterfassung: Alles zum Stechuhr-Urteil des BAG

Sanduhr

Inhaltsverzeichnis

Arbeitszeit oder Freizeit?

Oft passiert es, dass noch ein dienstliches Telefonat in der Freizeit geführt wird, am Wochenende die geschäftlichen E-Mails gecheckt werden, aber sind die Überstunden dabei ausgeglichen?

Nicht immer denkt der Mitarbeiter daran, die Daten einzutragen und mit dem Arbeitgeber abzurechnen. Aus einigen Minuten werden am Ende der Woche schnell nicht erfasste Überstunden, die so aber auch gleichzeitig gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen. Eigentlich sollte unerfasste, geleistete Arbeitszeit seit dem 14. Mai 2019 durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs nicht mehr möglich sein.

Laptop zeigt interaktives PDF-Formular

Ab wann gilt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nach dem Bundesarbeitsgericht?

Aufgrund dessen hat sich nun das Bundesarbeitsgericht mit dem Thema im September 2022 beschäftigt und den Beschluss befasst, dass es nun keine Übergangsfrist mehr gibt, sondern die Arbeitgeber nun in der Zeiterfassung Pflicht stehen, die Arbeitszeiten von ihren Mitarbeitern erfassen zu lassen.

Was ist das sogenannte Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs?

Im Mai 2019 hatte der Europäische Gerichtshof beschlossen, dass die Arbeitgeber verpflichtet sind, die volle Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu erfassen. Dabei soll dies bereits ab der nullten Stunde systematisch erfolgen. Das Urteil wurde beschlossen, da vor allem oft der Arbeitsschutz oder ausufernde werktägliche Arbeitszeit eingedämmt werden sollten. Dabei beruft sich der Europäische Gerichtshof auf die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, zum Beispiel als PDF-Vorlage, aus der europäischen Grundrechtecharter und im Grundrecht der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, dass hierbei auf die Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auch tägliche und wöchentliche Ruhezeiten mehr geachtet werden soll.

Was bedeutet Arbeitszeiterfassung?

Geht es um die Arbeitszeiterfassung, dann werden hier alle Möglichkeiten umfasst, die mit den täglichen geleisteten Arbeitszeiten von Arbeitnehmern/-innen in Zusammenhang stehen. Der Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer der vertraglich geschuldeten Arbeitspflicht nachkommen soll, gilt es exakt so zu dokumentieren. Ruhezeiten und unbezahlte Pausen gehören dabei nicht zur Arbeitszeit. Allerdings gibt es Stechuhren oder Programme, in denen auch die Pausen mit dokumentiert werden, beispielsweise dann, wenn der Arbeitgeber eine bestimmte Anzahl an Pausen bezahlt zur Verfügung stellt.

Wie müssen Arbeitszeiten laut BAG erfasst werden?

Laut dem Bundesarbeitsgericht und dem Paragraphen 3 Absatz 2 Nummer 1 Arbeitsschutzgesetz ist der Arbeitgeber verpflichtet, ein System zur Verfügung zu stellen, in dem die Arbeitnehmer/-innen ihre Arbeitszeiten erfassen können. Dabei sollte alles ordnungsgemäß erfolgen. Erfasst werden dabei unter anderem Beginn und Ende der Arbeitszeiten, um so die Dauer der gesamten täglichen Arbeitszeit ermitteln zu können, zum Beispiel mit einer Vorlage eines Stundenzettels.

Aber auch Pausenzeiten und Überstunden lassen sich dann vom System ablesen. Laut dem Stechuhr–Urteil des Europäischen Gerichtshof sollte dabei jederzeit die Arbeitszeiterfassung objektiv, verlässlich und für jeden Mitarbeiter zugänglich sein. Am einfachsten eignet es sich deshalb, ein System zu schaffen, das beispielsweise direkt vom Computer genutzt werden kann. Aber auch Stechuhren am Eingang des Betriebes können eine gute Lösung sein.

Welche Pflichten haben Arbeitgeber bei der Zeiterfassung?

Zum einen ist der Arbeitgeber verpflichtet, ein System zur Verfügung zu stellen, in dem der Arbeitnehmer nun die erfasste Arbeitszeit hinterlegen kann. Gleichzeitig sagt das Bundesarbeitsgericht, dass die Arbeitgeber die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen delegieren müssen, damit diese auch die Arbeitszeit erfassen. Nur wenn das System tatsächlich genutzt und korrekt angewendet wird, hat der Arbeitgeber seine Pflichten erfüllt. Zur Überprüfung werden deshalb regelmäßige Stichproben für den Arbeitgeber empfohlen.

Fau füllt Zettel am Fenster aus

Wer muss Arbeitszeiten erfassen?

Das Bundesarbeitsgericht stellt klar, dass alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen dazu verpflichtet sind, ihre Arbeitszeit zu erfassen. Ausgenommen sind aktuell noch leitende Angestellte. Doch das bedeutet, dass nicht jede Führungskraft gleich automatisch ein leitender Angestellte ist. Aus diesem Grund werden hier Einzelfälle geprüft. Am einfachsten ist es, wenn jeder die Arbeitszeit erfasst, so kann der Arbeitgeber sicher sein, keine Strafen zu erhalten, weil ein Mitarbeiter die Zeit nicht erfasst.

Ist ein handgeschriebener Stundenzettel auch eine Art der Zeiterfassung oder muss diese zwingend digital erfolgen?

Grundsätzlich ist auch weiterhin ein handgeschriebener Stundenzettel erlaubt. Auf diesem muss klar ersichtlich sein, wann Beginn und Ende der Arbeitszeit erfolgt ist. Auch die Ruhepausen müssen dabei dokumentiert werden. Grundsätzlich empfiehlt es sich jedoch, auf ein System umzusteigen, um vor allem die späteren Mehrkosten reduzieren zu können.

Was müssen Unternehmen jetzt ändern?

Unternehmen, die bisher von ihren Mitarbeitern nicht verlangt haben, die Zeiten zu erfassen, müssen nun ein System bereitstellen, in dem die Zeiterfassung möglich ist. Dabei ist es unerheblich, ob die Zeiterfassung digital oder handschriftlich erfolgt. Wichtig ist nur, dass ab sofort die Mitarbeiter die Möglichkeit haben, ihre Arbeitszeiten und Ruhepausen zu erfassen.

 

Bedeutet das Urteil jetzt das Ende der Vertrauensarbeitszeit?

 

Das Thema Vertrauensarbeit war für viele Unternehmen sehr wichtig. Durch das neue Urteil des Bundesarbeitsgerichts glauben nun Fachleute, dass dies Auswirkungen auf die Wirtschaft und Verwaltung haben wird. Egal ob mobile Arbeit, Homeoffice oder Vertrauensarbeitszeitmodelle, hier wird sich in Zukunft einiges ändern. Wenn nun alles erfasst wird, lässt sich natürlich auch alles kontrollieren. Andere Fachleute sehen das Urteil optimistischer. Sie glauben, dass über die Arbeitszeiterfassung besser die Ruhezeiten eingehalten werden können.

Bauherrin mit Helm schaut auf einen Laptop
Frau mit Büchern vor einer Steinwand

Drohen Bußgelder bei Verstoß?

Derzeit sind viele Unternehmen noch auf der Suche nach einem richtigen System, um die gesamte Arbeitszeit zu erfassen. Für viele Unternehmen kam das Urteil überraschend, sodass erst einmal eine Umstellung erfolgen muss. Im Gegensatz zum Arbeitszeitgesetz knüpft das Arbeitsschutzgesetz Bußgelder nur an einen Verstoß gegen Rechtsverordnungen oder vollziehbare Anordnungen an. Das bedeutet, derzeit gibt es keine Bußgelder, wenn der Arbeitgeber noch nicht ein System für die Arbeitszeiterfassung zur Verfügung stellt. Nach der Umstellungsphase kann es jedoch sein, dass das Nichterfassen als ein Verstoß angesehen wird. Hier können dann natürlich auch Bußgelder drohen. In welchem Umfang diese erfolgen, ist bisher unklar.

Was bedeutet die BAG-Entscheidung für die Vertrauensarbeitszeit?

Vielen Unternehmen ist es wichtig, dass ihre Mitarbeiter auch auf Vertrauensbasis arbeiten können. Das heißt, die Belegschaft bestimmt selbst, wie flexibel sie arbeiten will. Aufgrund des neuen Urteils des Bundesarbeitsgerichts für die analoge oder elektronische Zeiterfassung endet auch nicht die Vertrauensarbeit. Auch weiterhin haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, ihre Arbeitszeiten flexibel zu gestalten. Wichtig dabei ist nun, dass die gesetzlichen Regelungen zur Ruhepausen, Ruhezeiten und Höchstarbeitszeiten eingehalten werden. Ebenfalls sollte das Verbot von Arbeit an Sonn- und Feiertagen beachtet werden. Der einzige Unterschied besteht nun darin, dass auch bei einer Vertrauensarbeitszeit die Arbeitszeiten erfasst werden.

 

Arbeitszeiterfassung: Konkrete To-Dos für die Personalabteilung

Bei der Umsetzung der neuen Zeiterfassung nach dem Bundesarbeitsgericht haben Unternehmen trotzdem noch großen Spielraum. Es gibt derzeit nur grobe Leitlinien für die Umsetzung. Wichtig dabei ist zu wissen, dass der Arbeitgeber nun eine Zeiterfassung einführen muss. Gleichzeitig gilt es, diese Anwendung den Mitarbeitern anzuordnen und dabei auch zu kontrollieren, dass diese befolgt werden. Außerdem ist der Arbeitgeber nun in der Verpflichtung, zu überprüfen, welches System für die Erfassung der Arbeitszeiten für die Beschäftigten und das Unternehmen am besten geeignet ist. Hier sollte das Unternehmen nicht einfach aus Kostengründen das günstigste und einfachste System auswählen. Sofern Unternehmen noch ratlos sind, welches System sie nutzen sollen, können sie einen Vorschlag zur Anpassung des Arbeitszeitgesetzes im ersten Quartal 2023 abwarten, ob eventuell dort ein Vorschlag für unterschiedliche Systeme vorhanden ist. Bis dahin sollte jedoch eine andere Lösung zur Überbrückung genutzt werden.